Bayern 2 - Die Welt am Morgen


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Ende der Welt - Die tägliche Glosse 70 Jahre von fern bedient - Zepter der Neuzeit

Stellen Sie sich vor, Sie müssten jedesmal aufstehen, um das Fernsehprogramm umzuschalten. Bei geschätzt 300 Programmen würde man die notorischen Zapper am drahtigen Äußeren erkennen. Aber vor 70 Jahren ermöglichte die erste Fernbedienung, sitzen zu bleiben. Und sich fortan mit dem Partner zu streiten … . Eine Glosse von Norbert Joa.

Von: Norbert Joa

Stand: 13.05.2024

Mich würde mal interessieren, wie viele Ehen mittels Fernbedienung ausgeknipst wurden – mit dem einen Knopfdruck zu viel. Vermutlich hielten in der guten alten Zeit Ehen auch deshalb länger, weils nur ein Fernsehprogramm gab. Und oft was mit Bildung - man blieb faul davor hocken und wurde zur Strafe kultiviert.

Nach zehn Jahren kam dann hinzu: das Zweite Deutsche Fernsehen. Und damit die Frage: Sitzenbleiben oder Aufstehen? Should I hock or should I go? Gut, es gab bereits den – obacht – Grundig Ferndirigent – mit 6 Meterkabel und fünf Tasten, allerdings für: fünf Radioprogramme. Aber da gabs auch schon und natürlich in den USA – die erste TV-Fernsteuerung, namens?  „Lazy Bones“ – Faulpelz. Wenig später sogar kabellos, mittels Lichtstrahl – doch da startete manchesmal auch die Sonne den Fernseher, drum später dann: Ultraschall.

Gut, da hatte man wiederum Dutzende Fledermäuse, die mitschauen wollten. Und Nachbars Hund. Dieses Teil hieß übrigens Space Commander. Die Schweizer – bekannt für eigenwilliges Starkdeutsch – nennen die Fernbedienung: Fernsehdrücker oder – kein Scherz: Die Macht.

Ja, und schon sind wir bei der Ehekrise. Wer hat in der Partnerschaft die Macht? Was den Alltag betrifft, ist die Sache meist klar. Doch wer hält sie abends in Händen – schwarz und tastenübersät – wer klammert sich förmlich daran, wenn auch nur für Stunden?  – Na?

70 Jahre Fernbedienung

Ich nehme an, die wenigsten Männer kennen den ungarischen Kulturphilosophen Tillmann, würden aber huldvoll nicken, beim Begriff, den er für die – mittlerweile Infrarot - Fernbedienung erwählt hat:  

Zepter der Neuzeit.

Doch oh ihr traurigen Könige, welch Zepter ist euch geblieben? Nicht gülden, sondern aus Kunststoff, nicht voll edler Steine, sondern knubbeliger Minitasten für Multifunktionen … und die Lesebrille mal wieder in der Küche.

So richtig gings ja ab in den 80ern – in den Ehen und mit den vielen neuen Privatsendern. Meinem Vater gelang es nahezu, alle gleichzeitig zu sehen. Frau und Tochter hatten da längst erzürnt den Raum verlassen – nur noch wir zwei Männer wärmten uns am selbsterzeugten Lagerfeuer aller Fernsehformate – jedes bekam seine magischen Sekunden, bis die Batterie leer war.

70 Jahre Fernbedienung - wie schrieb der Kulturwissenschaftler Tillmann: "Sie ist dem Faustkeil und dem Zauberstab verwandt – jeder kann sich auf dem Gipfel seiner Macht fühlen. Auf ein Winken seines elektronischen Zepters können Welten vergehen und wieder auferstehen.“

Schön oder?

Aus.


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