Ausscheidende Wehrdienstleistende in der Leopold-Kaserne in Amberg (Oberpfalz) während ihrer Verabschiedung aus dem Grundwehrdienst (Archivbild).
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Ausscheidende Wehrdienstleistende in der Leopoldkaserne in Amberg (Oberpfalz) während ihrer Verabschiedung aus dem Grundwehrdienst (Archivbild).

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Mögliche Rückkehr zur Wehrpflicht: Die wichtigsten Antworten

Deutschland diskutiert über sein Militär: Die CDU will schrittweise zurück zur Wehrpflicht, der Bundeswehrverband will alle Wehrfähigen erfassen. Welche Modelle sind im Gespräch? Hätte die Bundeswehr genug Kapazitäten? Wie ist es in anderen Staaten?

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Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat den Blick Deutschlands auf die eigene Sicherheitslage massiv verändert. Eine "Zeitenwende" rief Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor gut zwei Jahren aus - die Bundeswehr soll besser ausgerüstet werden. Noch ist es nicht so weit, auch Personal fehlt. Ohne Nato-Unterstützung gilt Deutschland als nicht verteidigungsfähig. Kehrt die Bundesrepublik deshalb zurück zur Wehrpflicht? Die wichtigsten Antworten.

Wehrpflicht in Deutschland: Wie ist die rechtliche Lage aktuell?

Seit 2011 ist die Bundeswehr eine auf Auslandseinsätze spezialisierte Berufsarmee, in der man freiwillig dienen kann. Seinerzeit wurde die Wehrpflicht ausgesetzt, nach 55 Jahren. In der aktuellen sicherheitspolitischen Lage brauche es keine Wehrpflicht mehr, erklärte Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) damals. Er betonte aber, es könne zu Szenarien kommen, "die wir nicht absehen können" - und die eine Rückkehr zur Wehrpflicht nötig machten.

Die Wehrpflicht in Deutschland für männliche Staatsbürger ab 18 Jahren ist nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt. Mit einfacher Mehrheit kann der Bundestag jederzeit beschließen, dass sie wieder gilt. Aktiviert würde die Wehrpflicht auch im Spannungs- oder Verteidigungsfall. Beides muss der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit beschließen.

Was wollen die im Bundestag vertretenen Parteien?

Die CDU hat auf ihrem Parteitag Anfang der Woche die Forderung beschlossen: Es soll ein "verpflichtendes Gesellschaftsjahr" geben, also eine allgemeine Dienstpflicht. Junge Menschen sollen selbst entscheiden, ob sie dieses Gesellschaftsjahr als Wehrdienst oder in einer sozialen Einrichtung absolvieren. Bis es so weit ist, fordern die Christdemokraten ein Kontingentmodell: Die Bundeswehr soll ihren Personalbedarf nennen, nach der Musterung eines Jahrgangs soll die benötigte Anzahl an Rekrutinnen und Rekruten eingezogen werden.

CSU-Chef Markus Söder favorisiert eine andere Lösung. Er verlangte im Februar bei einem Besuch in Schweden, dass Deutschland "in fünf bis sieben Jahren" zu seiner seit 2011 ausgesetzten Wehrpflicht zurückkehren soll. Die Wehrpflicht soll laut Söder weiter für Männer gelten, Frauen könnten wie bisher freiwillig dienen.

SPD, Grüne und FDP halten allerdings wenig von einer Rückkehr zur früheren Wehrpflicht. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach zuletzt von "keiner guten Idee", SPD-Chef Lars Klingbeil möchte lieber bestehende Freiwilligendienste stärken. Klar dagegen ist auch die Linkspartei. Die AfD hält die Aussetzung der Wehrpflicht hingegen für einen schweren Fehler.

Welche Wehrpflicht-Modelle sind im Gespräch?

Werden alle jungen Menschen eines Jahrgangs gemustert oder nur Männer? Dauert die Grundausbildung vier, acht oder zwölf Monate? Aus welchen Gründen kann man sich vom Dienst an der Waffe befreien lassen? Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will bald Optionen für eine Dienstpflicht vorstellen. Klar ist bisher nur: Verschiedenste Modelle sind denkbar.

Am häufigsten diskutiert wird in Deutschland - neben einer vorläufigen Rückkehr zur klassischen Wehrpflicht für Männer - das "schwedische Modell". Dort gilt eine "Verteidigungspflicht" für Männer und Frauen. Alle müssen verschiedene Dienste leisten, vor allem beim Militär oder im Zivilschutz. Freiwillig zur Musterung gehen in Schweden letztlich rund 30 Prozent - den zwölfmonatigen Wehrdienst machen am Ende fünf bis zehn Prozent eines Jahrgangs, abhängig vom Bedarf der Armee.

Was spricht für die Wehrpflicht, was dagegen?

Befürworter einer Wehrpflicht sagen: Nur auf diese Art erhalte die Bundeswehr genug Soldatinnen und Soldaten. Im akuten Bedrohungsfall brauche es viel Personal, um schnell auch größere Truppen zu mobilisieren. Dazu kommt ein Argument, das auch Söder bemüht: Durch eine Wehrpflicht wäre die Bundeswehr wieder breiter verankert in der Gesellschaft.

Gegner einer Wehrpflicht sagen: Die Anforderungen an eine moderne Armee seien heute zu komplex, um sie in wenigen Monaten ausreichend zu vermitteln. Wer zur Bundeswehr müsse und nicht freiwillig komme, sei zudem nicht immer ausreichend motiviert. Ein verpflichtendes Dienstjahr für alle, ob beim Militär oder in einer sozialen Einrichtung, sei zudem ein massiver Eingriff in die Selbstbestimmung.

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Wer wäre betroffen und müsste zur Bundeswehr?

Das hängt davon ab, auf welches Modell sich die Politik letztlich verständigt. Würde die aktuell ausgesetzte Wehrpflicht wieder aktiviert, müssten alle Männer nach ihrem 18. Geburtstag zur Musterung - hätten dann aber die Möglichkeit, den Kriegsdienst zu verweigern. Käme es zu einem verpflichtenden Dienstjahr, wären alle Männer und Frauen in der Pflicht. Ob - wie früher - ein passendes Attest über Rückenschmerzen oder andere gesundheitliche Probleme reichen würde, um gar keinen Dienst leisten zu müssen? Ebenfalls offen - Stand jetzt.

Einen anderen Ansatz verfolgen Sozialverbände. Eine Rückkehr zum früheren Zivildienst fordern im Sozialbereich die wenigsten. Die Präsidentin des deutschen Caritasverbands ist auch wegen der Frage der Wehrgerechtigkeit skeptisch, ob eine Wiedereinführung der Wehrpflicht eine kluge Idee sei. Eva Maria Welskop-Deffaa ist stattdessen dafür, freiwillige Angebote zu stärken. Sie fordert einen Rechtsanspruch für junge Menschen auf einen freiwilligen Dienst.

Hätte die Bundeswehr genug Kreiswehrersatzämter und Kasernen?

Stand jetzt wäre die Bundeswehr nicht in der Lage, Zehntausende Wehrpflichtige jedes Jahr zu mustern und auszubilden. Das erklärte zuletzt beispielsweise André Wüstner, Chef des Bundeswehrverbands. Es sei naiv gewesen, die Infrastruktur mit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 aufzulösen. Musterungen fanden früher in den Kreiswehrersatzämtern statt - diese wurden in Deutschland Ende 2012 aufgelöst.

Wie viel eine Rückkehr zur Wehrpflicht genau kosten würde, hängt vom gewählten Modell ab und lässt sich nicht seriös beziffern. Klar ist laut der FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Es brauche neue oder umgebaute Kasernen, deutlich mehr Ausbilder und Ausrüstung. Strack-Zimmermann geht davon aus, dass insgesamt ein zweistelliger Milliardenbetrag benötigt würde.

Welche Modelle gibt es in anderen Staaten?

In Dänemark gilt die Wehrpflicht bisher für Männer ab 18 Jahren. Weil es genug Interessenten gibt, wird aber nur ein Teil eines Jahrgangs einberufen. 2026 soll die Wehrpflicht auch auf Frauen ausgeweitet werden.

In Griechenland herrscht eine neun- bis zwölfmonatige Militärpflicht für alle Männer. Es gibt auch einen Zivildienst, der dauert allerdings doppelt so lange wie der Militärdienst.

Auch andere europäische Staaten haben eine Wehrpflicht - in Lettland beispielsweise wegen der Bedrohung durch Russland seit diesem Jahr für Männer von 18 bis 27 Jahren verpflichtend.

Frankreich, Großbritannien, Polen und Spanien haben dagegen Freiwilligenarmeen, genau wie die meisten anderen Nato-Mitgliedsstaaten. Meistens ist die Reglung aber wie in Deutschland: Im Kriegsfall kann die Wehrpflicht laut Verfassung umgehend wieder aktiviert werden.

Mit Informationen von dpa

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